Untere Havel/Sachsen-Anhalt und Schollener See
Größe [ha]: 5.769
Codierung: SPA0003
Landkreise und kreisfreie Städte: Stendal
Verwaltungseinheiten: Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land; Einheitsgemeinde Hansestadt Havelberg
Gebietsbeschreibung
Das EU SPA „Untere Havel/Sachsen-Anhalt und Schollener See" liegt im Nordosten des Landes Sachsen-Anhalt an der Landesgrenze zu Brandenburg. Es setzt sich auf Brandenburger Seite als EU SPA Niederung der Unteren Havel fort und erstreckt sich bis zur Stadt Brandenburg (Havel). Das EU SPA ist seit 1978 Feuchtgebiet internationaler Bedeutung (Untere Havel/ Gülper See/ Schollener See; Anteil Sachsen-Anhalt: FIB0001LSA) und wurde 1987 als Important Bird Area (IBA) ausgewiesen. Zu großen Teilen ist es auch als FFH-Gebiet gemeldet (FFH-Gebiete „Untere Havel und Schollener See" sowie „Jederitzer Holz östlich Havelberg").
Das EU SPA umfasst die drei Naturschutzgebiete NSG „Jederitzer Holz", NSG „Schollener See" und NSG „Stremel". Den Status als Vogelschutzgebiet erhielt das Gebiet bereits 1992 (DORNBUSCH et al. 1996). Im Jahr 2000 wurde es auf die heutige Größe von 5.744 ha erweitert, die sich auf 3 Teilgebiete in einer Nord-Süd-Ausdehnung von etwa 21 km entlang der Havel verteilen. Im Osten wird das EU SPA durch die Landesgrenze zu Brandenburg de‑niert. Nördlich begrenzt der Havelberger Forst das Gebiet, die westliche Ausdehnung ist an den Deich, der die Havelaue begrenzt, angelehnt. Im Süden erreicht das EU SPA die Heide- und Forstgebiete von Ferchels und Schollene. Das Vogelschutzgebiet wurde 2018 mit Inkrafttreten der Landesverordnung Natura 2000 (N2000-LVO LSA) rechtlich gesichert.
Das EU SPA befindet sich im Naturraum der glazial und periglazial geprägten Elbetalniederung, kleinräumlich betrachtet in der Niederung der Havel (Landschaftseinheit Rhin-Havel-Luch) und im Schollener Land (Landschaftseinheit Ländchen im Elbe-Havel-Winkel). Die Havelniederung wird nördlich und südlich von Endmoränen eingeschlossen, die größtenteils mit Kiefern bestockt sind. Nördlich handelt es sich um die Perleberger Heide mit dem Havelberger Forst und südlich um die Klietzer Höhe und das Land Schollene. In diesen weichselkaltzeitlichen Talsandflächen über Schmelzwassersanden sind verschiedene Ausprägungen der Braunerde vorhanden. In den Niederungen der Havel dominieren Auenböden über Sand, wie Gleye, Pseudogleye oder Vegen. Teilweise bilden sich Niedermoore, die auenton- oder auenlehmbedeckt sind. Der Schollener See ist in der Genese ein Toteissee.
Die Dynamik der Havel ist prägend für das Gebiet, denn trotz Meliorations- und Wasserbaumaßnahmen kommt es periodisch zu Hochwasser und Überschwemmungen (ELLMANN et al. 1995). Dementsprechend handelt es sich bei den umliegenden offenen Flächen überwiegend um Grünland feuchter Standorte, Niedermoore, Röhrichte und Riede. Nur 9 % der Fläche des EU SPA werden laut Standarddatenbogen ackerbaulich genutzt. Fuchsschwanz-, Knickfuchsschwanz- oder Glatthaferwiesen sind unter anderem hier vorkommende Gesellschaften der Grünlandflächen. In den Niederungen sind noch Reste der Weichholzaue mit verschiedenen Weidenarten in den Überflutungsbereichen zu finden, dahingegen kommen Elemente der Hartholzaue (Stieleiche und Flatterulme) nur noch sehr selten vor. Im NSG „Jederitzer Holz" ist noch eine geschlossene Hartholzaue (Eschen- Ulmenwälder) vorhanden. In den südlichen moorigen Bereichen stocken Erlenbruchwälder mit einzelnen beigemischten Moor-Birken. Das NSG „Stremel" liegt am Nordufer der Havel. Verbunden mit dem Fluss umfasst es Seen, Altarme und einen ausgebauten Fließgraben. Röhrichte und stellenweise Großseggenriede sind die prägende Vegetation. Der ca. 200 ha große und durchschnittlich nur 1 m tiefe Schollener See ist ebenfalls mit der Havel und deren Wasserstandsschwankungen verbunden (OTTO 2005). In der näheren Umgebung sind noch einige Niedermoorwiesen erhalten, die seltene Arten beherbergen (z. B. Schachblume, Geflecktes Knabenkraut und Kleiner Klappertopf). Der Schollener See selbst ist stark von Verlandung betroffen und mit den typischen Arten der Ufer- und Verlandungsgesellschaften bestanden. Teichrose, Froschbiss, Wasserhahnenfuß oder Rohrkolben haben hier ihren Standort. Sukzessionsgebüsche und Bruchwälder begleiten die krautigen Schichten des Verlandungsgürtels.
Bedeutung als Vogelschutzgebiet
Das überaus strukturreiche Gebiet der Unteren Havel bietet einen Lebensraum für zahlreiche Brutvogelarten und hat ebenfalls eine große Bedeutung als Rastgebiet. Besondere Teilgebiete innerhalb des EU SPA sind die Naturschutzgebiete Schollener See, Stremel und Jederitzer Holz sowie die Havelaue und die Havelniederung in der weitläufigen und überwiegend störungsarmen Überschwemmungslandschaft. Das Gebiet ist eines der bedeutendsten Vogelschutzgebiete Sachsen-Anhalts für Brutvögel ebenso wie für Zug- und Rastvögel.
Brutvögel
Die Niederungs- und Luchgebiete innerhalb des gut strukturierten Feuchtgrünlandes werden auch heute noch extensiv genutzt. In diesen vernässten Feuchtwiesen finden zahlreiche Wiesenvogelarten wichtige Bruthabitate. Wachtelkönig, Kiebitz, Bekassine und Rotschenkel, früher auch Großer Brachvogel und Uferschnepfe, brüten hier in wechselnder Häufigkeit (DORNBUSCH et al. 1996). Ausgedehnte Schilf- und Röhrichtbestände, beispielsweise von Schollener See und Stremel, sind Lebensraum von Rohrdommel, Zwergdommel, Rohrweihe, Knäkente, Rothalstaucher, Schwarzhalstaucher, Drosselrohrsänger, Schilfrohrsänger, Blaukehlchen und Bartmeise (DORNBUSCH et al. 1996, OTTO 2005). Der Verlandungsgürtel des Schollener Sees beherbergt dabei das größte kontinuierliche Brutvorkommen des Blaukehlchens in Sachsen-Anhalt (KUMMER et al. 1973, DORNBUSCH et al. 1996, TODTE 2010, SCHULZE 2011) und ist eines der Top-5-Gebiete für diese Art in Sachsen-Anhalt. Die Maximalzahl von 12 BP (OTTO 2005) wurde bei der Landeserfassung der Art mit einem Bestand von 11 BP (SCHULZE 2011) in der Größenordnung bestätigt. Der Schwarzhalstaucher brütete schon vor über 85 Jahren am Schollener See (KUMMER et al. 1973). Aktuell konzentrieren sich die Brutplätze der Art auf die Umgebung von Jederitz und Havelberg. Nach FISCHER & DORNBUSCH (2010b) liegt der Bestand aktuell bei 32 BP, womit ein Anteil von 21,3 % des Landesbestandes eingenommen wird. Ebenfalls hervorzuheben sind die Bestände des Rothalstauchers mit 14 BP im NSG „Stremel" (FISCHER & DORNBUSCH 2010b). Damit beherbergt das EU SPA 18,7 % des Landesbestandes. Sogar von der seltenen Moorente gelang hier eine Brutzeitbeobachtung.
Die in den Gehölzen des EU SPA brütenden Greifvogelarten Rotmilan, Schwarzmilan und Seeadler finden im Offenland mit den zahlreichen Wiesen und Gewässern hervorragende Nahrungsgebiete (DORNBUSCH et al. 1996, OTTO 2005). Eine Charakterart der Havelregion ist der Weißstorch. Innerhalb des EU SPA brüten nur 2 Paare, jedoch ist der Weißstorch in den umliegenden Ortschaften sehr weit verbreitet (OTTO 2005). Die Bruchwälder sind Niststandorte des Kranichs. Das EU SPA beherbergt außerdem große Brutvorkommen von vier Seeschwalbenarten. Der bekannteste Brutstandort der Trauerseeschwalbe ist die Aderlanke an der Havel (KUHNERT 2007). In den Bereichen Schollener See und Stremel brütet die Flussseeschwalbe (OTTO 2005). Die Bestände der Flussseeschwalbe umfassen 38 % des Landesbestandes Sachsen-Anhalts, die Trauerseeschwalbe kommt hier sogar mit fast 70 % des Landesbestandes vor. Erstmalig für Sachsen-Anhalt konnte 2007 die Weißbartseeschwalbe mit 13 BP und die Weißflügelseeschwalbe mit 14 BP am Pierengraben bei Havelberg im Grenzbereich zum EU SPA nachgewiesen werden (WERNICKE et al. 2007, FISCHER & DORNBUSCH 2008). Nachdem im Jahr 2008 keine Brutvorkommen beider Arten festzustellen waren, brüteten 2009 71 BP der Weißbartseeschwalbe, überwiegend im EU SPA (FISCHER & DORNBUSCH 2010b). Das EU SPA ist das einzige bekannte Brutgebiet der Weißbartseeschwalbe in Sachsen-Anhalt und hat für diese Art wie auch für die beiden anderen Seeschwalbenarten des Anhang I der EU-VSchRL als Top-5-Gebiet überregionale. Auch weitere Kolonien bildende Arten wie Lachmöwen und Graureiher sind im Gebiet als Brutvögel vertreten.
Die Eichenwaldstandorte im NSG „Jederitzer Holz" werden vom Mittelspecht besiedelt, wohingegen der Schwarzspecht an der Unteren Havel überwiegend in alten Baumreihen zu finden ist (OTTO 2005). Der Eisvogel kommt im Gebiet an verschiedenen Standorten mit zur Anlage von Brutröhren geeigneten Uferabbrüchen vor. Hecken und andere Randstrukturen entlang von Wegen und Gewässern sind Lebensraum von Neuntöter, Raubwürger, Sperbergrasmücke, Ortolan und Beutelmeise. Insgesamt kann für das EU SPA von etwa 120 regelmäßig brütenden Vogelarten ausgegangen werden (OTTO 2005).
Rastvögel
Das EU SPA „Untere Havel/Sachsen-Anhalt und Schollener See" ist eines der bedeutendsten Rastgebiete für Wat- und Wasservögel im mitteleuropäischen Binnenland (DORNBUSCH et al. 1996). Regelmäßig rasten hier mehr als 20.000 Wasservögel. Eine besondere Bedeutung ergibt sich für Saatgans, Blässgans, Graugans und Kranich, die hier fast alljährlich mit mehr als 1 % der biogeografischen Populationen rasten. Unter den Saatgänsen kommen neben der überwiegenden Anzahl von Tundrasaatgänsen regelmäßig auch Waldsaatgänse vor. Beispielsweise wurden im Jahre 2004 in den Havelauen um Kuhlhausen bis zu 160 Waldsaatgänse und gleichzeitig außerhalb des EU SPA westlich von Kuhlhausen weitere 95 Waldsaatgänse beobachtet (T. Heinicke, pers. Mitt.). Auch Spießente und Löffelente treten im Gebiet regelmäßig mit bedeutenden Rastbeständen von mehr als 1 % der Flyway- Population auf. Neben den Arten, die das 1 %-Kriterium erfüllen, sind auch zahlreiche andere regelmäßig und in größeren Individuenzahlen auftretende Rastvogelarten zu erwähnen, darunter als Anhang I-Arten Sing- und Zwergschwan, Weißwangengans und Zwergsäger. Auch viele Limikolenarten rasten hier während der Zugzeit. Dabei treten Goldregenpfeifer und Kiebitz im Gebiet regelmäßig in größeren Individuenzahlen auf. Im Standarddatenbogen sowie bei WEBER et al. (2003) wird auch der Bruchwasserläufer mit größeren Rastzahlen genannt, die jedoch in den letzten Jahren nicht im Gebiet vermerkt wurden. Aber nicht nur für Wasservögel hat das EU SPA eine herausragende Bedeutung, auch zahlreiche Greifvogelarten nutzen das Gebiet als Durchzugs- und Überwinterungsgebiet. Hier sind unter anderem Kornweihe, Wiesenweihe, Rotmilan und Seeadler zu nennen.
Links/Dokumente
Literaturliste (PDF, nicht barrierefrei)
verändert nach: MAMMEN, K. & U.; DORNBUSCH, G.; FISCHER, S. (2013): Die Europäischen Vogelschutzgebiete des Landes Sachsen-Anhalt, Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Heft 10/2013.
Hauptteil (N2000-LVO LSA) (PDF, nicht barrierefrei)
Gebietsbezogene Anlage (N2000-LVO) (PDF, nicht barrierefrei)
Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen (PDF, nicht barrierefrei)
Den Standarddatenbogen und die Meldekarte finden Sie auf der Internetseite des Landesamtes für Umweltschutz.