Wald-Wiesenvögelchen (Coenonympha hero)
Beschreibung
Das Wald-Wiesenvögelchen ist ein kleiner dunkelbrauner Tagfalter mit einer Vorderflügellänge von ca. 1,6 cm. Die Oberseite der Vorderflügel ist einfarbig, auf den Hinterflügeln findet sich eine kurze Binde aus drei oder vier heller geringten Ocellen nahe dem Rand. Die Unterseite, besonders der Hinterflügel, ist auffälliger gezeichnet. Nahe am Rand stehen meist sechs schwarze Ocellen mit weißem Kern und orangefarbenem bis rotbraunem Ring, die größer sind als bei den verwandten Arten. Innen werden sie von einer unregelmäßig gezackten weißen Binde begleitet. Wichtiges Erkennungsmerkmal ist eine silberne, metallisch glänzende Binde zwischen der Ocellenreihe und einer schmalen rötlichen Saumbinde. Die Art ist nicht geschlechtsdimorph und wenig variabel.
Biologie und Ökologie
Fortpflanzungsbiologie und Verhalten weisen das univoltine Wald-Wiesenvögelchen als extremen K-Strategen aus. Die Reproduktion ist mit durchschnittlich 56 Eiern pro Weibchen (BINK 1992) außergewöhnlich niedrig. Das Eistadium dauert etwa vierzehn Tage. Die relativ großen Eier werden nicht an die Nahrungspflanzen, sondern einzeln an trockene Grashalme in Bodennähe, an Holzreste in der Streuschicht u.ä. Strukturen angeheftet. Dabei werden besonnte, aber luftfeuchte und windgeschützte Stellen bevorzugt (STEINER & HERMANN 1999). Als Futterpflanzen der Raupe werden verschiedene Gräser (Poaceae, Cyperaceae) angegeben, jedoch ist die tatsächliche Nahrungspräferenz im Freiland unbekannt. Wahrscheinlich spielen dabei standörtliche Faktoren eine größere Rolle als die Artzugehörigkeit der Gräser. Die Raupe lebt etwa 310 bis 330 Tage und überwintert im dritten oder vierten Larvalstadium in Grasbüscheln. Sie verpuppt sich im Mai an trockenen Grashalmen, nach ca. 17 Tagen schlüpft der Falter. Die Flugzeit fällt in den Zeitraum zwischen Ende Mai und Anfang Juli und ist mit durchschnittlich zwölf Tagen pro Jahr sehr kurz. Als schlechter, bodennaher Flieger ist das Wald-Wiesenvögelchen äußerst standorttreu. Die Populationsdichte ist niedrig („low density species“). Der Falter besucht keine Blüten. Gelegentlich wurde Saugen an Tautropfen beobachtet (THUST et al. 2001). Coenonympha hero ist eine Art lichter feuchter Wälder, die primär in durch Windwurf oder die Tätigkeit von Makroherbivoren natürlich entstandenen Lichtungen zu Hause gewesen sein dürfte. In Mitteleuropa hat sie sich zu einem charakteristischen Begleiter der Mittelwälder und ähnlicher Waldbewirtschaftungsformen entwickelt. Während in Süddeutschland auch waldnahe Pfeifengraswiesen und gebüschreiche Niedermoore besiedelt werden, sind für den mitteldeutschen Raum eher innerhalb des Waldes gelegene feuchte Grasinseln als Habitate beschrieben worden (BERGMANN 1952, THUST et al. 2001). In Betracht kommen vor allem lindenreiche Eichenbestände als Folge von Mittelwald- oder Hutenutzung. Wichtige Requisiten sind einzeln stehende Büsche in den Lichtungen als Ansitzwarten der territorialen Männchen. Oft handelt es sich dabei um den Faulbaum (Frangula alnus). Mit dem Niedergang der Mittelwaldwirtschaft ist die Art in den meisten Regionen Mitteleuropas im Aussterben begriffen. Populationen in Nasswiesen (Süddeutschland) scheinen sich etwas länger zu halten.
Verbreitung
Coenonympha hero ist eurasiatisch verbreitet und kommt in der gemäßigten Palaearktis von Frankreich bis zur Ussuri-Region, Japan, China und Korea vor. Sie fehlt auf den Britischen Inseln sowie im gesamten Europa südlich der Alpen. Im Norden werden Südfinnland, Südschweden und das Baltikum erreicht. In Europa sind die Vorkommen überall stark rückläufig oder bereits erloschen, nur in Weißrussland und Estland soll es stabile Populationen geben (VAN SWAAY & WARREN 1998). In Deutschland ist bzw. war die Art nur sehr lokal verbreitet. Die nördliche Grenze verläuft etwa von Aachen über Köln, Hannover und die Altmark zur Oberlausitz (PRETSCHER 2001). Einige wenige Funde liegen auch von weiter nördlich gelegenen Orten vor. Mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg, wo noch größere Populationen bestehen, ist das Wald-Wiesenvögelchen im übrigen Deutschland bis auf Restbestände ausgestorben. Ein solches Restvorkommen bestand mindestens bis 1998 im niedersächsischen Lappwald in unmittelbarer Nähe der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt. Die Art kommt bzw. kam hauptsächlich im Hügelland vor, ist aber auch in der Ebene und in der submontanen Stufe zu finden.
Bestandssituation in Sachsen-Anhalt
Das Wald-Wiesenvögelchen wurde aus Sachsen-Anhalt von nur dreizehn Lokalitäten bekannt, die überwiegend in großen und historisch alten Waldgebieten liegen. Schon um oder vor 1900 sind die Vorkommen im Süppling, bei Haldensleben, im Bebertal, im Nordharz (Wernigerode, Quedlinburg, Selketal), in der Mosigkauer Heide und im Prößdorfer Forst bei Zeitz erloschen. Bei Letzterem handelte es sich um ein Waldgebiet, das sich früher zwischen Lucka (Thüringen) und Langendorf (Sachsen-Anhalt) erstreckte und schon früh dem Braunkohleabbau zum Opfer gefallen ist. Nach 1900 wurde die Art noch von Mansfeld, vom Bergholz bei Kütten und offenbar besonders oft und regelmäßig aus dem Allstedter und Ziegelrodaer Forst gemeldet. Diese Vorkommen bestanden ungefähr bis 1940. Ein letzter Nachweis aus Arendsee aus der Zeit vor 1973 ist nicht ausreichend belegt. Aktuelle Funde sind nicht bekannt. Sie sind im Lappwald (angrenzend an ein Vorkommen auf niedersächsischer Seite) sowie in ehemals militärisch genutzten und daher aufgelichteten Bereichen des Allstedter Forstes und der Finne nicht völlig auszuschließen. Für die Angaben „Haldensleben“ und „Mosigkauer Heide“ kann mangels genauerer Lokalisation nicht entschieden werden, ob sie sich auf ein heutiges FFH-Gebiet beziehen. Die Zuordnung zu den Naturräumen ist aufgrund ungenauer historischer Angaben besonders unsicher.
Gefährdung und Schutz
Der Schlüssel zum Verständnis des Aussterbens von Coenonympha hero liegt einerseits in der Aufgabe der Mittelwaldwirtschaft, andererseits in dem extrem geringen Ausbreitungspotenzial der Art, das eine Besiedlung neu entstandener Lichtungen unmöglich macht, wenn die Habitatinseln nicht ausreichend miteinander vernetzt sind. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Wald-Wiesenvögelchen auf Waldlichtungen in Form von Metapopulationen existiert (SETTELE & REINHARDT 1999). Nadelholzforste zwischen den Teilpopulationen wirken als Migrationsbarrieren (THUST et al. 2001). Bereits mit der Umstellung vieler Wälder auf die Hochwaldbewirtschaftung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind wahrscheinlich viele Vorkommen in Sachsen-Anhalt erloschen. Weitere Gefährdungsfaktoren sind die Aufforstung feuchter Waldwiesen v.a. mit Nadelbäumen (in potenziellen Habitaten im Lappwald bei Walbeck – Weferlingen), großflächige Grundwasserabsenkungen infolge Melioration (Süppling bei Weißewarte), Braunkohlebergbau (nördlich Zeitz) und wahrscheinlich auch das beschleunigte Zuwachsen der Wälder durch atmosphärischen Stickstoffeintrag. Aus Süddeutschland wird ferner über die Zerstörung von Coenonympha hero-Habitaten durch Dimilin-Spritzung zur Schwammspinnerbekämpfung (WEIDEMANN 1995) sowie durch Autobahnbau (EBERT & RENNWALD 1991) berichtet. Ein Schutz der Art kann, falls in Sachsen-Anhalt noch bodenständige Populationen aufgefunden werden, nur über die Aufnahme einer entsprechenden Waldbewirtschaftung mit ständigen Eingriffen auf größerer Fläche erreicht werden. Zugewachsene Waldwiesen sind zu entbuschen, wobei Einzelsträucher belassen werden müssen. Demgegenüber ist der Prozessschutz hier grundsätzlich kein geeignetes Instrument, da die natürliche Mosaikzyklus-Dynamik die nötigen Habitate erst nach langen Zeiträumen schafft, nämlich dann, wenn extrem gefährdete Arten wie C. hero längst verschwunden sind (THUST et al. 2001).
Rote Liste Deutschland: 1 – Vom Aussterben bedroht
Rote Liste Sachsen-Anhalt: 0 – Ausgestorben oder verschollen
Literatur/Links
Link zur Literaturliste (als PDF, nicht barrierefrei)
entnommen aus:
Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (2004): Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt - Die Tier- und Pflanzenarten nach Anhang IV der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie im Land Sachsen-Anhalt. Halle (Saale). 142 S.